Die Puls der Zeit

Die Puls der Zeit

Westerloy im Mai 2021

 

„Träume nicht Dein Leben, sondern lebe Deinen Traum“ dieser wohl jedem bekannte und wohl auch abgedroschene Spruch ziert nicht nur Wohnmobilrückseiten, Schlaf- und Wohnzimmerwände, Kühlschranktüren und Poesiealben. Da auch das Poesiealbum wohl abgedroschen ist, übertragen wir dies in die digitalen Zeiten und stellen fest, dass dieser Spruch auf diversen Status und Facebook Einträgen gerne mal etwas übertrieben mit Glanz, Sonnenuntergang und Schnörkel in Szene gesetzt immer wieder auftaucht. Was auf den ersten Blick unheimlich griffig erscheint, wird aber beim genaueren Hinsehen tatsächlich etwas schwierig. Ist die richtige Interpretation dieser Phrase, dass ich aufhören soll ein Träumer zu sein und doch schlicht machen soll, was ich da so träume? Und wie lange bin ich, wenn ich diesen Weg gehe noch ein Macher und ab wann werde ich zum Spinner?

 

Wenn ein Kind mit dem Sport beginnt, dann ist die Hauptmotivation doch eine elterliche Erziehungsmaßnahme, um die Blagen der Konsole und dem Handy fernzuhalten. Der Junge muss ja auch mal was anderes machen. Oder aber, es ist ein Funken an Leidenschaft der übergesprungen ist und einen kleinen Traum ausgelöst hat. Es gibt ein Vorbild, einen Star oder ein bewegendes Ereignis, dass den Nachwuchs träumen lässt mit einem Sport zu beginnen. Also schickt die Kids zum Kicken und lasst sie diesen Traum leben.

 

Es wäre übertrieben zu behaupten, dass es früher alles einfacher war, da ja nix anderes außer Boßeln oder Fußball gab. Die Spielkonsole, welche die Kids heute schon früh eins mit der Wohnzimmercouch werden lässt, war vor 50 Jahren noch nicht einmal erfunden, wenn sie denn überhaupt in einem einfachen Haushalt erschwinglich gewesen wäre. Aber wie man auch immer anfängt, die Leidenschaft zeigt sich, wenn man dabeibleibt. Und manchmal gehen dann wohl die Dinge ihren Weg, sodass man am Spiel hängen bleibt und sich das auch über ein halbes Jahrhundert nicht ändert. Immer gepaart mit dem Traum vom Großen.

 

Warum eine solch ausführliche Einführung mit so viel Pathos? Weil jeder Verein von Idealismus getragen wird und ich mich auf den Weg zu zwei besonderen Exemplaren von Idealisten gemacht habe, die sich in jahrzehntelanger Treue zum TuS Westerloy auf diesem schmalen Grad bewegen: das ganze Leben an dem Fußball ausgerichtet zu haben und dennoch nicht mit dem internationalen Ruhm und Reichtümern beglückt worden zu sein, den man von den Heroen des Fußballs kennt.

 

Dass der Fußball das zentrale und steuernde Element in der gesamten Lebensgestaltung der beiden ist, ist ggf. ihnen selbst nicht immer bewusst. Man braucht aber das Dorf oder den Verein nicht zu kennen, um bei den beiden das Muster Fußball im Leben schnell zu erkennen. Der Besucher begreift bei der Lage und Gestaltung der Häuser sofort, dass hier nach der „Matrix Fußball“ gehandelt wurde. Der Eine wohnt in unmittelbarer Nähe zum Hauptplatz des TuS Westerloy, der Zweite hat sich in etwas größerer Entfernung in Eggeloge in einem Anwesen eingerichtet, dass offensichtlich mal Gegenstand der Planung zu einem Trainingszentrum war. Die Fläche so groß wie ein Sportplatz, die Gartenanlage spricht die deutliche Sprache einer Fankurve im Stadion, auch wenn von selbiger kein Spielfeld, sondern ein Teich zu beobachten ist.

 

Es sind die Brüder Reiner und Hajo Puls. Beider Leben ist durch und durch vom Fußball geprägt und von der felsenfesten Überzeugung, dass der große Traum vom Fußball sich vor Ort realisieren wird. Als der Dritte der Puls Brüder (Jürgen) in den Süden ging, nach München, da suchten die beiden jüngeren nicht auch das Glück in der Ferne, sondern glaubten weiter an die Chance vor Ort und ihnen war dieser Traum wichtiger, als dem Ruf der Großen zu folgen.

 

Der Hunger nach oben zu kommen und auch mit den verfügbaren Mitteln das maximale herauszuholen war ihnen in die Wiege gelegt. Die Mutter Inge kämpfte sich einst mit dem Rad quer durch das Ammerland, um den neu gewonnen Liebsten (u.a. Ammerland Auswahlspieler) Günter Puls beim Fußball spielen zu sehen⁠1 und erarbeitete mit ihrem Engagement sich über die Jahre einschlägiges Wissen und Fachkunde im Fußball. Später sollte sie von ihrem Mann liebevoll „Frau Wontorra“ genannt werden.

 

In jugendlichen Jahren, vielleicht noch nicht mit dem Weitblick für den Fussball ausgestattet, schnürten die Puls Jungen in Torsholt wohnend zunächst beim TuS Ocholt im Alter von 6 Jahren das erste Mal die Fußballschuhe. Auf der Suche nach Perspektiven zog es sie später weiter. Reiner Puls kam in der A Jungend zum TuS Westerloy und sollte dem Verein seitdem auch treu bleiben. Hajo hatte wohl seinen eigenen Kopf und wollte dem großen Bruder nicht direkt folgen. Er machte eine Odyssee durch, spielte u.a. beim VfB Oldenburg in der Regionalliga der A-Junioren, spielte in Barßel, Westerstede, Wiefelstede, um dann schließlich auch beim TuS Westerloy zu landen.

 

Sie haben große Gegner bespielt (national: Rot-Weiß Erfurt, Preussen Münster, MSV Duisburg Amateure, 
FC Gütersloh (damals 2. Bundesliga). Reiner i.d.R. eher aus der Defensive (nicht immer u.a. ein Doppelpack gegen Jeddeloh I steht in seinen Palmarès) und Hajo immer dort als 10er, wo er dem Gegner am unangenehmsten werden konnte.

 

Als sie international mit der Mannschaft in London aufschlugen, da gingen die beiden die extra Meter, als alle anderen schon kaputt waren. Nach dem Spiel in die damals größte Disko Europas, als VIP wurden die beiden „German Guys“ an der Schlange vorbeigewunken, als alle anderen erschöpft von den Strapazen (Es gab kein Bier im Stadion sondern nur heißen Kakao) schon im Hotel lagen⁠2.

 

Eine irre Erfolgsgeschichte und trotzdem sind die beiden auf dem Boden geblieben. Trotz mehrerer Meisterschaften und Aufstiege, dem Einsatz auf dem Platz und als Trainer auf der Bank, haben die beiden ihren Einsatz nie verkauft. Es gab sogar nie Geld dafür. Vielleicht war es einfach noch nicht die Zeit und die beiden sind so etwas wie Relikte aus einer anderen Epoche des Fußballs. Dabei hat auch ihr aufopferungsvoller Altruismus Grenzen. Im ersten Saisonspiel der Ersten Herren in Westerstede, wurde von Busfahrer Hans Hermann Haverkost eine Flasche Sekt für den ersten Torschützen ausgelobt, eine Chance die sich, unter den oben erklärten Umständen, ein Hajo Puls nicht entgehen lassen konnte und just ein Eigentor schoss (Sekt wurde ausgegeben).

 

Mit dem Bruder in München zu spielen stand für die beiden nicht zur Debatte. „Erstmal ist da natürlich die große Entfernung und dann waren wir zu dieser Zeit auch aus dem Alter raus“ erklärt Hajo. Wenn sie mal dort sind, dann trinkt man zusammen ein Bierchen, ob zuhause oder auf dem Oktoberfest. Reiner spielt nicht mal Skat, sodass sich die Möglichkeit gar nicht bietet zu spielen.

 

Also blieben die beiden vor Ort und bauten ihr Leben rund um den Fußball auf. Viele Dinge schienen sich einfach zu fügen und lassen Außenstehende unbehelligt, da sich die Konsequenz ihrer Lebensführung aus Wettkampfgedanken und dem Fußballtraum eben nicht auf den ersten Blick erschließt.

 

Hajo Puls ist heute selbstständiger Gärtnermeister. Als ausgebildeter 10er hat er das Gefühl für die Schnittstellen und er lässt u.a. seine Dominanz mit dem Freischneider auch die Mannschaftskameraden bei der routinemäßigen Grünpflege am Platz deutlich spüren. Er ist schneller, er ist präziser. Ein Könner seines Fachs mit einer unvergleichbaren Perfektion an der Graskante. Kurz eine Performance im Greenkeeping die auch im Camp Nou oder Old Trafford gern gesehen wäre. Ein Job, der ihn Tag täglich seinen Traum leben lässt. Und da wundert es auch nicht, dass er nun seit über 25 Jahren mit einer Krankenpflegerin verheiratet ist. Angesichts des glücklichen Bildes, das die beiden abgeben, traut man sich nicht zu fragen, wieviel Pragmatismus für den langfristigen Traum Fußball zu spielen und den eigenen Körper zu strapazieren in dieser Konstellation steckt.

 

Dass es sich hier nicht um eine übertriebene Interpretation in ein zufälliges Muster handelt, wird bei Reiner Puls deutlich. Selber sichert er sich über das Sanitätshaus Ziemba den Zugriff auf medizinisches High-Tech Equipment. Eine professionelle Ausrichtung des Lebens, wie man sie sonst in der Fußballszene an einem Christiano Ronaldo bewundert. Und auch bei Reiner zieht sich dies bis weit ins Private. Fußball hat immer was mit Geld zu tun: Petra ist bei der Bank.

 

Wenn man im Leben so viel hinter den Fußball stellt und es daran ausrichtet, sollte man als Außenstehender erwarten, dass auch ein materieller Erfolgt diesen Einsatz entlohnt hat. Aber der ganz große Durchbruch ist hier noch ausgeblieben und die beiden sind im Verhältnis zu anderen so lange aktiven Spielern (Buffon, Pizarro) sehr bodenständig. Vielleicht darf man auch träumen und gleichzeitig nichts erzwingen wollen.

 

Dass man für Träume im Fußball viel investieren muss und sie trotzdem ggf. nicht ganz in Erfüllung gehen, sieht man immer wieder. Man schaut auf die Investitionen in Manchester City, die auch nach Milliarden versenkter Euros erst nach Jahren eine Chance auf das Ziel der Champions League haben. Man schaut auf Schalke 04, deren Vorstände sich zum Ziel gesetzt haben dauerhaft die Spitze des deutschen Fußballs mitzugestalten und die sich nun auf den Weg in die 2. Liga machen. Die Ruhe und Coolness am Platz und im Leben über einen langen Zeitraum zu halten ist sicherlich eine große Kunst. „Ich bin froh, dass wir mit solchen Enttäuschungen nicht zu tun haben“ sagt Reiner Puls und dennoch kennt er das auf und ab. Seit der letzten Meisterschaft (Hallenkreismeister Ü40, 2016) gibt es auch bei der Ü40 eine lange Durststrecke und die ermahnte Herausforderung immer wieder gegen Krankheit und Altersschwäche 11 Mann zusammenzutrommeln. „Nicht jeder kann damit um“ bemerkt er kritisch und schaut dabei auch ein wenig mit Sorge in Richtung seines kleinen Bruders Hajo. Mit dessen Hobby Hühnerhaltung (jeden Tag das Runde im Eckigen und einem Huhn mit dem Namen Claudia Pizzaro) scheint Hajo doch noch den ein oder anderen geplatzten Traum kompensieren zu wollen.

 

Aber als gestandene Ammerländer wissen letztlich beide wie man mit Durst auf der Strecke umzugehen hat.

 

„Wir werden weiter träumen und uns beim TuS einsetzen“ antworten beide fast uni sono auf die Frage, wie sie aus der aktuellen Corona-Ruhezeit und der ggf. vorhandenen Krise im Vereinssport herausgehen wollen. Was ihnen und auch dem Verein ein wenig fehlt sind weitere Mitstreiter. „Man kann nicht von jedem erwarten, dass er den 110%-Weg geht“ bemerkt Hajo, der sich seiner Opfer auf diesem Weg bewusst ist, „aber wenn wir zusammenhalten und jeder ein paar Prozent beiträgt, dann leben wir hier alle gemeinsam unseren Fußballtraum“.

 

Und der Traum muss wohl weiter gehen. Corona bedeutet für die beiden die längste spielfreie Zeit seit fast 50 Jahren. Zudem nagt noch die Schmach an Hajos Ego, dass seine letzte den Spieler der Ü40 im Gedächtnis gebliebene Aktion zwar ein blitzschneller Reflex war, dieser aber aus dem Hochreißen der Arme auf der Torlinie bestand und zwar ein Tor verhinderte aber mit glatt rot und Elfmeter geahndet wurde. Das nagt und daher wirkt er fast ein wenig nervös, wenn man länger mit ihm über Fußball spricht.

 

Vor allem fehlt aber eins, dass nicht nur die beiden mit dem Fußball und dem TuS verbinden und das wir alle in dieser Zeit vermissen: Geselligkeit. Prost.


Steckbrief: Reiner Puls

Jahrgang: 64

Position(en): Rückrad und Chef neben dem Platz der Ü40
 - grundsätzlich alles aber mehr von hinten. (2 Tore Jeddeloh geschossen)

 

Steckbrief: Hajo Puls

Jahrgang: 67

Position(en): Raute und Chef auf dem Platz der Ü40 - 
Immer gerne dort wo man unangenehm ist: die 10

 

Ergänzung zu den Steckbriefen: Die bekannte Bezeichnung der Brüder als „Pulle“ ist nicht wie teilweise in der Fanszene vermutet wird eine Honoration für von besondere Leistungen neben dem Platz, sondern schlicht eine Verfremdung des Namens „Puls“. Und außerdem ist es nach Aussage von Hajo: „Eher so Reiners Ding.“ Damit wäre das auch geklärt.

Reiner Puls auch in der Presse ein beliebtes Motiv der Reporter
Reiner Puls auch in der Presse ein beliebtes Motiv der Reporter
Erinnerungen an den letzten Erfolg. Die Hallenkreismeisterschaft der Ü 40 der SG TuS Westerloy/TuS Ocholt
Erinnerungen an den letzten Erfolg. Die Hallenkreismeisterschaft der Ü 40 der SG TuS Westerloy/TuS Ocholt

1 Da Günter Puls im März 2021 im Alter von 81 Jahren verstorben ist war noch die ein oder andere Anekdote über die Eltern Puls im Gespräch erzählt worden. Dies würde ggf. auch diese sehr ausladende Episode unserer Rubrik sprengen.

2 Das Spiel war Chelsea gegen Nottingham, damals nicht die erfolgreichsten Teams der Liga, dafür aber für angereiste Ausländer mit verfügbaren Karten.